Fragen von Gesundheit und Krankheit begleiten das menschliche Leben. Sie haben deshalb einen hohen Stellenwert in unserem Denken und Handeln. Gesundheit gilt als zentrales Ziel eines guten Lebens. Erkrankungen und Verletzungen werden dagegen als starke Beeinträchtigungen des Lebensglücks begriffen. Zugleich gehen die Daten, die über die Entwicklung der gesundheitlichen Verhältnisse verfügbar sind, in eine eher erfreuliche Richtung. Menschen leben länger, erreichen höhere Altersstufen und erleben eine längere Zeit in vorgerücktem Alter. Zu dieser Entwicklung haben zweifellos Fortschritte in der modernen Medizin beigetragen. Sie ist jedoch nicht vorstellbar ohne das Wachstum des wirtschaftlichen Wohlstandes und die Zurückdrängung schwerer körperlicher Arbeit.
Wir beobachten eine steigende Bedeutung des Gesundheitsthemas auch in
den Werthaltungen unserer Gesellschaft. Zum Teil gibt es in Bezug auf
Gesundheit eine fast religiös anmutende Heilserwartung. In der Hoffnung
auf Leistungskraft und Attraktivität, ein langes Leben ohne
Gebrechlichkeit und starke Beeinträchtigungen, sind Menschen zu großen
Aufwendungen bereit.
Veränderte Erwartungen, erweiterte medizinische Möglichkeiten, aber auch
die Alterung der Bevölkerung haben dazu beigetragen, dass der
Gesundheitssektor zu einer bedeutenden Wachstumsbranche geworden ist.
Jeder vierte neue Arbeitsplatz entsteht hier. Einen langfristig
wachsenden Anteil des Sozialprodukts verwenden wir für
Gesundheitszwecke.
Am Anfang unserer Reihe steht die Frage, ob Gesundheit zu Recht Hauptziel eines guten Lebens sein sollte. Es scheint eine entscheidende Voraussetzung für das Lebensglück zu sein. Zugleich dürfen wir nicht übersehen, dass das gesundheitsorientierte Handeln bei übersteigerter Wahrnehmung auch starke restriktive und repressive Aspekte einschließen kann. Für die Erörterung dieses Themas haben wir den Mediziner und Philosophen Prof. Thomas Fuchs (Uniklinikum Heidelberg) gewonnen.
Neuere Entwicklungen in den gesundheitlichen Verhältnissen in Deutschland behandelt der Vortrag von Prof. Ulf Müller-Ladner (Universität Gießen/Bad Nauheim). Hier treten offenbar in der modernen Gesellschaft mehr verhaltensbedingte Erkrankungen in den Vordergrund, die neue Anforderungen an die Medizin stellen. Auch die zunehmende Alterung gehört zu den Schlüsseltrends unserer Gesellschaft.
Zunehmend treten heute Verschleißerkrankungen, verhaltensbedingte Gesundheitsprobleme, wie auch Fragen der geistigen Gesundheit in höherem Alter in den Vordergrund und schaffen die Notwendigkeit einer eigenen Altersmedizin. Prof. Johannes Pantel (Universität Frankfurt/Main), der Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft Frankfurt, wird diese Fragen ansprechen.
Es folgt ein weiter Blick in die Zukunft. Mit Prof. Karl-Heinz
Jöckel, dem Vorstandsvorsitzenden der Universitätsmedizin Essen, wollen
wir ganz bewusst auch visionäre Fragen in den Blick nehmen. Wird es auf
lange Sicht ein Leben ohne Krankheit geben? Und einen Abschied von den
Einschränkungen des Alters? Gibt es angesichts von Determinierungen
menschlichen Lebens einen realistischen Traum von der Unsterblichkeit?
Trotz aller Leistungsfähigkeit gibt es auch viel Unbehagen über unser
System der gesundheitlichen Versorgung. Gleichzeitig wird unsere Medizin
möglicherweise oft durch überhöhte Erwartungen überfordert. Der Vortrag
von Dr. Werner Bartens wirft die Frage auf, was wirklich gesund macht
und schaut auf die bedeutenden Beiträge, die Einfühlung und Anteilnahme
zu unserer körperlichen Gesundheit, zur Stärkung unserer Seele und zur
Festigung des Zusammenhalts unserer Gesellschaft beitragen.
Gesundheit ist im hohen Maße auch persönliche Verantwortung des Einzelnen. Dies gerät in einem Land mit ausgebautem Gesundheitssystem und freiem Zugang zum Arzt etwas aus dem Blick. Forschungsergebnisse zeigen aber, dass die persönlichen Chancen des Einzelnen, für gesundheitliche Verbesserungen zu sorgen, ausgesprochen groß sind. Im Vordergrund des Vortrags des Sportmediziners Prof. Winfried Banzer (Universität Frankfurt/Main) steht künftigen die „Wunderpille Bewegung“.
Unsere Ansprüche an die Medizin, aber auch medizinische Verfahrensweisen und Möglichkeiten stellen wichtige Fragen der Medizin- und Gesundheitsethik. Müssen, beziehungsweise sollten wir alles tun, was wir tun können? Dürfen wir alles tun, was wir tun können? Wie gehen wir mit dem Thema Rationierung im Gesundheitswesen um, welche Rolle spielen Kosten/Nutzen-Aspekte im medizinischen Handeln? Diese schwierigen ethischen Aspekte wollen wir mit Prof. Christiane Woopen (Universität Köln), der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates, erörtern.
Ein Brennpunkt in unserem Medizinsystem ist das Arzt-/ Patientenverhältnis. Es gibt hier ein verbreitetes Gefühl von Krise. Viele Patienten beklagen eine ökonomisch gesteuerte „Minutenmedizin“ und wählen vermehrt alternative medizinische Angebote. Wege zu einem besseren Verhältnis von Arzt und Patient wird Prof. Dietrich H.W. Grönemeyer (Universität Witten/Herdecke) aufzeigen. (23.11.2015)
Fragen der gesundheitlichen Versorgung gehören zu Schlüsselfragen unseres Landes. Einerseits treibt die Alterung der Gesellschaft den Bedarf nach medizinischer Versorgung auf höhere Schwellen, andererseits ist die medizinische Versorgung allein schon aus finanziellen Gründen nicht unbegrenzt ausweitbar. Aber: „Abwarten ist keine Option“, Prof. Ferdinand Gerlach, der Vorsitzende der „Gesundheitsweisen“, wird die Empfehlungen des Sachverständigenrates zur Zukunft der gesundheitlichen Versorgung präsentieren.
Das deutsche Gesundheitssystem zeigt Stärken und Schwächen. Einerseits hat es in der Vergangenheit seine Leistungskraft bewiesen, anderseits ist es Vorwürfen ausgesetzt, es entwickele sich zunehmend ein System der „Zweiklassenmedizin“, bei dem eine Minderheit vorzüglich versorgt, eine Mehrheit nur noch auf spartanische Ansprüche verwiesen wird. Prof. Jürgen Wasem (Universität Duisburg-Essen) wird diese Fragen unter Einbeziehung europäischer Vergleiche erörtern und den Reformbedarf klären.
Als noch weniger gelöst müssen in Deutschland die Schlüsselfragen der Pflegereform gelten. Die historische Tradition, die Deckung des Pflegebedarfs vorwiegend in der Familie zu verorten, erweist sich beim Blick auf die Realität bundesdeutschen Lebens nicht mehr als realistisch. In einer schrumpfenden Gesellschaft mit reduzierter Zahl von Kindern, mehr „unvollständigen Familien“ und mehr Singlehaushalten, ist die familiäre Pflegekapazität geschrumpft. Infolge dessen steigt die Erwartung auf sozialstaatliche Unterstützung, dem jedoch die heutige Pflegeversicherung nicht gerecht wird. Auch zeigt sich deutlich, dass die Chancen zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit nicht annähernd genutzt werden. Prof. Heinz Rothgang (Universität Bremen) wird diese komplexen Zusammenhänge und Ansätze einer Lösung ansprechen.